7 Wahrheiten über QM


7 Wahrheiten über QM

Die Befürworter des Qualitätsmanagements (QM) sind zahlreich. Die Gegner ebenso. Neben der gesetzlichen Verpflichtung durch den Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wird häufig über Sinn und Unsinn eines QM im ambulanten Praxiswesen diskutiert. Hier zur Abwechslung ein paar Wahrheiten zum QM in der Zahnarztpraxis.

Die Ausgangssituation

Mediziner und Zahnärzte sind mal wieder gezwungen etwas umzusetzen, das einen abstrakten Namen trägt: Qualität managen? Als Krönung werden in naher Zukunft Prüfer bei Ihnen erscheinen, die genau kontrollieren, ob Sie das auch können, Qualität managen. Befürchtungen drängen sich auf, es könnte jemand kommen, der die Qualität Ihrer zahnärztlichen Arbeit überprüft.

1. Es ist nicht Aufgabe des QM, Ihre Behandler-Qualitäten zu bewerten.

 

Vielmehr sollte QM in erster Linie als Rahmenwerk für eine gesamtheitliche Praxisausrichtung verstanden werden. Diese Ausrichtung hat letztendlich immer ein Ziel: die Verbesserung. Aber kann QM in Wahrheit zu Verbesserungen in der zahnmedizinischen Praxis führen und wenn ja, für wen? Um dies zu beantworten, müssen zwei häufig vermischte Begriffe näher betrachtet werden: Effektivität und Effizienz. Stellen wir einige Aussagen der QM-Befürworter auf die Probe: ›QM setzt Potentiale in punkto Effektivität und Effizienz frei.‹

Dabei bedeutet Effektivität ›das Richtige zu tun‹ (Ziele festlegen und diese erreichen) und Effizienz ›etwas richtig zu tun‹ (Aufwand-Nutzen Relation). Anders formuliert: Effektives Handeln beschreibt ›was‹ getan wird, effizientes Handeln beschreibt ›wie‹ etwas getan wird. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden diese Begriffe fälschlicherweise häufig als Synonyme verwendet. Es ist beispielsweise effektiv, eine brennende Kerze mit einer Magnumflasche Moët & Chandon zu löschen. In aller Regel ist die Kerze danach aus, das Ziel wurde erreicht. Effizientes Handeln sieht allerdings anders aus.

Nehmen wir als Ausgangspunkt der Unterscheidung von ›Effektivität‹ und ›Effizienz‹ ein sehr verbreitetes QM- Normwerk, die ISO 9001. Bei genauer Betrachtung wird man in der ISO-Norm viele Inhalte zu dem Thema finden, ›Was‹ (Effektivität) getan werden soll. Allen QM-Methoden ist dabei ein patientenfokussiertes Handeln gemein, was gleichzeitig die Frage nach dem größten Nutznießer der QM initiierten Verbesserungen beantwortet: Es geht um die Patientensicherheit.

2. Die Ebene der Effektivität wird vom QM ausführlich bedient.

 

Inhalte zur Effizienz, also ›Wie‹ etwas getan werden sollte, sind in dem QM Normwerk allerdings kaum zu finden. Zwar wird ein prozessorientierter Ansatz gefordert, der jedoch im ersten Schritt lediglich festlegt, ›wie‹ der Dokumentationsstandard auszusehen hat. Auch fordern die meisten QM-Ansätze eine Prozessverbesserung bzw. Methoden, die diese anschieben. Wie konkret man allerdings ›besser‹ wird, bzw. was ›besser‹ überhaupt bedeutet, lässt das Qualitätsmanagement offen.

3. Die Ebene der Effizienz wird vom QM nur oberflächlich bedient.

 

Die Wirklichkeit in der Praxis zeigt generell zwei verschiedene Herangehensweisen an das QM. Die Einen begnügen sich damit, die Mindestanforderungen zu erfüllen, teilweise sogar weniger. Damit bedient man vor allem die eingangs beschriebene Idee eines regulatorischen Kontrollinstruments. Verständlicherweise ist bei dieser Einstellung niemand bereit, viel Geld oder Zeit in das Projekt Qualitätsmanagement zu investieren. Dementsprechend befüllen diese Behandler lediglich die Freitextfelder eines beliebiges QM-Handbuchs. Jedem dürfte klar sein, das dieser Weg zwar kostengünstig ist, aber natürlich nur minimale Potentiale freisetzt. Sofern sie vor dem Erwerb des Handbuchs ineffiziente Prozesse hatten, haben Sie diese auch danach. Dem QM ist das weitestgehend egal.

Das zweite Lager bilden diejenigen Behandler, die sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Sie sehen Potentiale in der Installation eines QM in Ihrer Praxis, haben Seminare mit blumigen Namen wie ›Gelebtes QM‹ oder ähnliches besucht und obige Aussage ›QM setzt Potentiale in punkto Effektivität und Effizienz frei‹ geglaubt. Voller Tatendrang haben sie über Wochen und Monate die praxisinternen Prozesse bis ins kleinste Detail erfasst und ihr individuelles QM aufgesetzt, eventuell sogar zertifizieren lassen. Nicht selten sind diese Behandler nach einer Weile frustriert, weil der anfangs versprochene Erfolg trotz massiven Aufwands ausbleibt. Was ist hier falsch gelaufen?

Die Handlungsebene der Effektivität ›Was getan wird‹ wurde nahezu vollständig erschöpft, aber die Effizienz ›Wie es getan wird‹ blieb meistens außen vor.

Um hier einen Erklärungsansatz zu finden, muss man sich bewusst machen, woher die QM-Rahmenwerke ursprünglich stammen. In der klassischen Industrie bestand lange Zeit ein Ungleichgewicht zwischen Effektivität und Effizienz. Die Entwicklung von Effizienzmaßnahmen ist wesentlich älter. Fließbandfertigung wurde beispielsweise schon im 15. Jahrhundert im Schiffsbau praktiziert, die ersten Qualitätskontrollen findet man allerdings erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eine unternehmensweite Qualitätsausrichtung sogar erst um 1965. Für die Entscheidung ›Wie etwas getan wird‹ wurden Milliarden in Produktionsverfahren investiert, ›Was‹ getan wird entschied in der Regel alleine das Top-Management. Daher schlummern in der klassischen Industrie die größeren Potentiale auf der Handlungsebene der Effektivität, denn das Top-Management hat in der Regel wenig Bezug zur Basis — dem Kunden. Hier liegt der größte Unterschied. Das Management in der Praxis, also der Behandler, steht dagegen täglich im Kontakt zur Basis. Ungeachtet dieser Situation ist Effektivität auch in der zahnärztlichen Praxis ein Thema. Beispielsweise bilden Patientenbefragungen in den meisten Praxen immer noch die Ausnahme, obgleich sie ein hervorragendes Werkzeug sind, Probleme frühzeitig zu identifizieren und darüber hinaus die Patientenbindung zu festigen. Dennoch arbeitet grundsätzlich keine Praxis am generellen Bedarf des Patienten vorbei. Das liegt in der Natur der Sache begründet.

4. In der zahnärztlichen Praxis liegen die größeren Potentiale zumeist in der Effizienz.

 

Stellt diese Aussage die Daseinsberechtigung des QM in der zahnmedizinischen Praxis in Frage? Nein, Sie müssen noch ein paar Schritte weiter gehen, um alle Potentiale nutzen zu können.

Wie lässt sich die Effizienz steigern?

Eine frohe Botschaft vorweg: Falls Sie sich die Mühe gemacht haben, Ihre Prozesse mit Hilfe eines Qualitätsmanagements detailliert abzubilden, haben Sie den größten Aufwand bereits hinter sich. Zur Steigerung der Effizienz halten die gängigen QM-Methoden keine weiteren Werkzeuge bereit. Ab diesem Punkt kommen die Methoden des (Geschäfts-) Prozessmanagement (engl. Business Process Management, BPM) zum Einsatz. Sie geben Auskunft über die Leistungsfähigkeit von Prozessen, bieten Werkzeuge zur Optimierung sowie zur nachhaltigen Kontrolle. Falls Sie sich mit diesen Methoden eigenständig auseinandersetzen möchten, hier eine Auswahl der geläufigen Ansätze:

KAIZEN (Wandel zum Besseren), Total Cycle Time (TCT), Business Process Reengineering (BPR, radikaler Ansatz), Kontinuierlicher Verbesserungs-Prozess (KVP), Lean (Nicht wertschöpfende Tätigkeiten eliminieren), SixSigma (statistische QM-Methode), Prozesssimulation und vieles mehr. Eine Einschränkung gilt für jede medizinische Praxis: Die Effizienz der eigentlichen Behandlung lässt sich unter medizinischen Qualitätsprämissen meist nicht steigern. Reden wir über Effizienzsteigerung sind hauptsächlich solche Prozesse gemeint, die administrative Aufgaben oder Faktoren betreffen, wie z.B. die Behandlungsvorbereitung, Kapazitätsauslastung und Abrechnung.

5. QM alleine reicht als Methode zur Effizienzsteigerung nicht. Es bietet jedoch durch den Prozessansatz eine sinnvolle Ausgangsbasis, mittels Methoden des Geschäftsprozessmanagements die Effizienz zu verbessern.

 

Einen Sonderstatus nimmt der oben genannte ›kontinuierliche Verbesserungsprozess‹ ein. Dieser wird daher von vielen QM-Methoden gefordert. Doch wie sympathisch finden Sie eine Aufgabe, die NIE endet? Ihren Mitarbeitern wird das nicht anders gehen, womit wir einen weiteren Grund hätten, warum viele mit QM nicht glücklich werden.

Der Faktor Mensch

Nehmen wir an, Sie haben es geschafft, Ihre Prozesse zu identifizieren, die Leistungsfähigkeit relevanter Prozesse zu messen (IST-Zustand), daraus abgeleitete Prozessziele zu formulieren (SOLL-Zustandsdefinition) und konkrete Maßnahmen für jene Zielerreichung auszuwählen. Jetzt müssen Sie ›nur noch‹ jeden in Ihrer Praxis davon überzeugen, dass im Extremfall plötzlich ›alles anders ist‹ und dadurch ›alles besser wird‹. Würden Sie so einer Aussage glauben?

Grundsätzlich haben die meisten Menschen zunächst Angst vor Veränderung. Das ist etwas völlig Natürliches. Machen Sie jetzt nicht den Fehler, diese Widerstände nicht zu akzeptieren. Oft liegen die Ursachen hierfür wesentlich früher im Verlauf des Praxisgeschehens. Der Bereich Change Management betrachtet diese Problematik genauer. Eine leichte aber sehr populäre Lektüre ist zudem Das Pinguin Prinzip von J. Kotter und H. Rathgeber.

6. Der Erfolg einer Veränderung, auch bei einer QM-Installierung, hängt maßgeblich davon ab, wie Akzeptanz und Handlung aller Akteure nachhaltig verändert werden können.

 

Kontinuität

Alle bisherigen Bemühungen haben zum Ziel gehabt, ein Stück mehr Wahrheit über die eigene Praxis zu erfahren. Diese individuelle Wahrheit hat den Vorteil, die ›objektivste‹ Entscheidungsgrundlage zu sein. Auch eine verhältnismäßig kleine Organisation wie die zahnmedizinische Praxis ist kein statisches Konstrukt, sondern vielmehr ein organisches Gebilde und unterliegt so oder so einem stetigem Wandel. Mitarbeiter kommen und gehen, Patientenwünsche, staatliche Anforderungen und damit auch entsprechende regulatorische Maßnahmen ändern sich permanent. Es wäre daher fatal, sich auf der Momentaufnahme auszuruhen. Mit der QM-Evaluation sollten Sie Ziele formulieren, die es innerhalb eines gewissen Zeithorizonts zu erreichen gilt. Eine häufig zutreffende Aussage lautet: ›Was nicht gemessen wird, wird nicht getan.‹ Sowohl QM als auch Prozessmanagement bieten Inhalte dazu, was gemessen werden kann. Dennoch sollte die kontinuierliche praktische Erfassung im Idealfall keinen Zusatzaufwand bedeuten und daher weitestgehend durch eine starke IT-Implementierung in die täglichen Arbeitsprozesse integriert werden. Bestenfalls erhalten Sie auf diese Weise eine objektive Sofortabbildung der Realität Ihrer Praxis. Sie können Probleme früher identifizieren und werden schneller und zielgerichteter reagieren.

Die Versuchung liegt nahe, nach der erfolgreichen Umsetzung eines Qualitätsmanagements die Früchte der Arbeit zu bestaunen. Allerdings werden Sie schneller, als Ihnen lieb ist, feststellen, dass die freigesetzten Potentiale nach und nach im Alltagsrauschen untergehen. Neben der oben genannten Kontrolle auf Basis von Kennzahlen ist da her auch regelmäßiger Abgleich von Modell und Realität unabdingbar, damit das Modell eben nicht zu jenem statischen Konstrukt verkommt, dessen Mehrwert höchstens noch das Handbuch in Form eines Türstoppers ist. Das bedeutet unter anderem, das Checklisten und Arbeitsanweisungen regelmäßig aktualisiert und verbessert werden und dass ein QM angepasst wird, sobald Veränderungen im Bereich der Mitarbeiter auftreten. Viele scheuen den damit verbundenen Aufwand oder auch das Konfliktpotential im Team. Das ist verständlich und zugegeben, ein nicht immer leichtes Unterfangen. Daher kommt es vor allem auf die Praxisrelevanz der verwendeten Werkzeuge an. Wer möchte sich erst in einem 300 Seiten dicken Handbuch verirren, um die gesuchte Checkliste zu finden? Auch hier kann eine konsequente IT-Integration helfen, mehr Übersicht zu schaffen. Die letzte Maßnahme, um Stillstand vorzubeugen, sind Kommunikationskanäle für Verbesserungsvorschläge seitens der Mitarbeiter.

7. Der Nutzen eines QM versickert im Alltag, falls regelmäßige Zielkontrollen, Modellprüfung und kontinuierliche Verbesserungen nicht stattfinden. Achten Sie daher genau auf die Praxisrelevanz von Werkzeugen und Methoden.

 

Fazit

QM alleine ist kein Garant für eine erfolgreiche Praxis. Selbst eine Zertifizierung nach bspw. ISO 9001:2008 sagt erst einmal nichts über die Effizienz der praxisinternen Abläufe aus. Da im Zuge eines Qualitätsmanagements ohnehin die Notwendigkeit besteht, die eigenen Prozesse zu dokumentieren, ist es ratsam, diese mit Hilfe des Prozessmanagements zu optimieren. Durch diese Maßnahme kann neben der Effektivität auch die Effizienz verbessert werden. Nicht zuletzt sollte bedacht werden, wer künftig mit dieser Methodik in Kontakt kommt. Der Faktor Mensch sollte von Beginn an Teil der Überlegungen und der Umsetzung sein. Werden diese kritischen Faktoren berücksichtigt und praxisnahe Werkzeuge eingesetzt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass QM einen echten Mehrwert bringt, der sich nicht zuletzt auch in einem positivem Return of Investment niederschlägt. Kritisch zu bewerten sind Vorlagen wie QM-Handbücher und IT-Lösungen mit vordefinierten Prozessen. Sie mögen zwar einer etwaigen Prüfung standhalten, bieten Ihnen in der Regel aber keine bedarfsgerechte Abbildung Ihrer individuellen Notwendigkeiten.

Behalten Sie den Mut, Ihr eigenes Praxiskonzept zu entwickeln. Zeigen Sie dabei im eigenen Interesse die Offenheit, dieses durch Methoden wie QM auf seine Umsetzbarkeit regelmäßig zu überprüfen.

Erstmalig erschienen in der un-plaqued Nr. 19 “Wahrheit“
Zweitveröffentlichung im Zahnärzteblatt Nr. 5 | Zahnärztekammer Westfalen-Lippe